Das Gut Birkenfelde – Berichte
Zum Leben auf dem Gut unter dem Besitz Giese
Das Leben auf dem Gut war aber zu Anfang des 20. Jahrhunderts offenbar noch teilweise feudal geprägt: Die Arbeiterfamilien hatten ihre Wohnung auf dem Gut, sie bekamen ein Stück Land zur Bewirtschaftung für den Eigenbedarf, insbesondere für Kartoffeln, Getreide und Gemüse und sie hielten auch eine Kuh und ein Schwein. Für die Ansiedlung/Anstellung war z.B. eine Bedingung, daß die Familie mindestens 8 Kinder hatte . Auch sozial wurde für die Familien der Arbeiter gesorgt. Ein Vertragsarzt des Gutes wurde bei Bedarf gerufen und vom Gutsherrn bezahlt. Eine Krankenversicherung gab es damals noch nicht. Weiter wurden für die Arbeiter „Marken geklebt‟, d.h. von Hugo Giese wurden Zahlungen an die staatliche Rentenkasse zugunsten der Arbeiter geleistet.
Er hat für den Bedarf seiner Arbeiterfamilien teilweise auch neue Wohnungen errichtet. Seinen Kindern war allerdings streng verboten, dorthin zu gehen. Man lebte getrennt von den polnischen Bewohnern, wie überhaupt der soziale Kontakt sehr beschränkt war. Er bestand im Wesentlichen aus der eigenen Verwandtschaft, aus den Nachbarn und aus Kontakten im Hinblick auf das wirtschaftliche Leben des Gutes.
In den Arbeiterfamilien gab es eine Arbeitsteilung, wonach die Arbeit mit Pferden, auf dem Acker, in der eigenen Stellmacherei (Wagenpark und Reparatur) und in der Schmiede von den Männern verrichtet wurde, während die Frauen für den Kuhstall (geschätzt ca. 100 Stück) zuständig waren. „Die Kühe mußten ja damals alle von Hand gezippelt werden‟.Die Verwaltung wurde von Hugo Giese selbst durchgeführt, nachdem ihm zwei Vögte nach kurzer Zeit wieder weggelaufen waren. Offenbar herrschte er sehr despotisch. So mußten sie z.B. morgens um 1/2 5 Uhr zum Rapport antreten, weil er zu dieser Zeit bereits auf war, um in der kalten Jahreszeit das Haus anzuheizen. Seine Frau Gertrud Agathe war zu Anfang ihrer Ehe bei solchen Gelegenheiten noch der Rocksaum geküsst worden, was sie selbst aber (als Breslauer Kaufmannstochter) nicht mochte. Sie empfand es so „als ob sie in einer verkehrten Welt sei.‟ Sie war eine feine, musische Frau. Im Hause dienten 4 Mädchen und eine Wirtschafterin. Die Kinder hatten eine Kindergärtnerin und später eine Hauslehrerin. Zum Lyceum in Kempen fuhren sie mit dem Kutscher in der offenen Kutsche, wobei sie im Winter dick in Pelze eingemummelt wurden und wenn Schnee lag, fuhr man im Schlittengespann. Die offene Kutsche wurde später durch eine geschlossene Kalesche ersetzt.
Auf dem Gut hatte er eine Pferdezucht für Trakehner eingerichtet. Hugo Giese war Pferdenarr. Er züchtete eine Art Trakehner (das Branntzeichen hatte aber keine Elchschaufel, sondern 7 Zacken auf der Krone). Die Trakehner dienten als Reit-, Acker- und Kutschpferde. Die Ackerpferde wurden später von einem Dampfpflug ersetzt, der in 2 Teilen auf je einer Seite des Ackers stand und mit einem Drahtseil verbunden war, an dem der Pflug hin und her gezogen wurde. Eine seiner Töchter berichtet: Es war ein schönes ruhiges Schauspiel, wie der Pflug hin und her ging. Es wurde vor allem Getreide und Kartoffeln angebaut.
Bilder zeigen, daß einige Wirtschaftsgebäude in dem umschlossen angelegten Vierkant-Hof fehlen. Bewohner berichteten, daß zwei gegenüber dem Herrenhaus gelegene Gebäude durch Blitzschlag und Feuer(?) vernichtet wurden . Eingangs, am Tor, ist noch eine Steinrinne zu erkennen, die der Reinigung und Desinfektion von Rädern und Tierhufen/-klauen gedient haben dürfte. Rechter Hand, in 2 großen Gebäuden, standen Kühe mit ihren Kälbchen. Die Liegeplätze für die Tiere ließen anhand der Größe noch erkennen, daß dort zu Zeiten von Hugo Giese die Pferdezucht untergebracht war.
Wie noch nach dem 2. Weltkrieg üblich, erntete man früher mit Sägen das Eis von den Weihern, um im Sommer die Nahrungsmittel frisch zu halten. Es gab einen Eisschrank im Haus, der täglich zweimal mit Eis befüllt werden mußte. Im „Eishaufen‟ wurde auch Kaviar konserviert, den die dt. Offiziere serviert bekamen, wenn sie für das Militär kamen, um Pferde zu kaufen.Eine weitere Geschichte handelte von einem deutschen Fliegerleutnant, der im 1. Weltkrieg am Gut notlanden mußte und auf einen Ersatzpropeller mehrere, wohl gut 4 Wochen zu warten hatte. Er wurde natürlich bestens bewirtschaftet.
Die Tochter berichtete ferner „Vater hat noch einen Vogel gehabt, jedes Jahr mußten wir in die Kartoffeln zum Ernten. Jedes (der Kinder) hatte sein Körbel und hat wie die andern (poln. Arbeiter) bei der Ablieferung eine Marke gekriegt und wurde dann ausbezahlt wie die anderen Leute.‟
Hugo Giese betrieb auch eine wunderschöne Fasanerie, d.h. es wurden in großen Freigehegen Fasanen aufgezogen und für Jagdzwecke verkauft. Auf dem Gut gab es Fischteiche beim Vorwerk Joachimstal, in denen im Herbst mit Reusen gefischt wurde und wo auch einige Fischotter dem Gutsherrn Konkurrenz bei der Ernte der Karpfen und Schleien machten.
Im Winter wurde auf den Teichen das Eis in Stücke gesägt und mit Pferdeschlitten in der Nähe des Gutes im Park hoch aufgeschichtet, sodaß sich ein regelrechter Eisberg bildete. Dieser wurde laufend bei Temperaturen von 20 -25 Grad unter Null mit Wasser begossen, sodaß ein richtiger Eisberg entstand. Dieser Eisberg wurde dann dick mit Sägespänen abgedeckt und diente bis zum nächsten Winter als Eisvorrat für einen altmodischen Eisschrank im Haus, den der Nachtwächter täglich einmal mit 2 Eimern Eis zu bestücken hatte.
In diesem Eisschrank wurde auch immer ein Vorrat von russischem Kaviar gehalten. Er wurde vorzugsweise bei der im Frühjahr vom Militär durchgeführten Pferdemusterung an die anwesenden Offiziere ausgegeben oder auch bei Gelegenheit der Hengstmusterung, die für Zuchttiere veranstaltet wurde. Der große Hof des Gutes diente sozusagen als „Marktplatz‟, wo auch die umliegenden, teils polnischen Bauern in ihrer Tracht ihre Pferde für den Verkauf vorführten.Beim gesellschaftlichen Leben ragten die herbstlichen und winterlichen Jagden auf Hasen und Fasanen besonders heraus. Hierzu trafen sich die deutschen und die polnischen Gutsbesitzer bzw. Bauern (namentlich wird ein Graf Schabski erwähnt), die ansonsten nicht miteinander verkehrten. Es waren reine Männergesellschaften, wobei nach Jagdende traditiongemäß ein Essen gegeben wurde, bei dem die Gastgeberin anwesend war. Vor dem dann üblicherweise stattfindenden anschließenden Gelage zog sich die Gastgeberin allerdings vornehm zurück. Mit den deutschen Nachbarn traf man sich öfter zum Kaffe oder zu einem Abendessen.
„Vom 1. Weltkrieg merkten wir anfangs garnichts‟ berichtet die Tochter und erzählt weiter, daß nach Kriegsende dann die Teilung des Deutschen Reiches mit der Abgabe des polnischen Korridors an Polen kam.
Quellen:
Rolf Schiller