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Österreichisch-Schlesien Forschungsgebiet Sudetendeutsche

 

Die Bezeichnung „Sudetendeutsche“, die der Wanderlehrer des Bundes der Deutschen und spätere Reichsratabgeordnete Franz Jesser (1869–1954) 1902 in der Zeitschrift „Volksbote“ erstmals für die deutschsprachige Bevölkerung in den Kronländern Böhmen, Mähren und Schlesien der Österreichisch-Ungarischen Monarchie benutzte und in der Folgezeit prägte, bürgerte sich nach der Bildung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 für die deutsche Bevölkerung dieses Staates ein. Es ist eine Sammelbezeichnung für eine in sich heterogene Gruppe, die sich nach Mundart, Herkunft und regionaler Kultur z.T. deutlich unterscheidet.

Seit dem zehnten Jahrhundert waren die böhmischen Länder Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, allerdings mit einer oft großen Eigenständigkeit. Mit der Goldenen Bulle im Jahre 1356 gehörten die böhmischen Könige zum siebenköpfigen Kurfürstenkollegium für die Kaiserwahl. Die Luxemburger waren von 1346 bis 1400, die Habsburger von 1526 bis 1806 als böhmische Könige gleichzeitig auch Kaiser. Im 12. und 13. Jahrhundert riefen böhmische Herzöge und Könige Deutsche hauptsächlich als Bauern, Bergleute und Handwerker ins Land um insbesondere die bis dahin nur dünn besiedelten Randgebiete zu erschließen. So entstanden Städte wie z.B. Leitmeritz (Stadtrecht 1227), Eger (1242), Brünn (1243), Budweis (1265) und Pilsen (1288). Während der Hussitenkriege (1419–1436) wurden die bis dahin entstandenen deutschen Sprachinseln Innerböhmens durch Vertreibung, Assimiliation und physische Vernichtung der deutschen Bewohner weitgehend zerstört. In den Grenzregionen überstanden die Deutschen hingegen diese Zeit, wenn auch mit erheblichen Verlusten. Insgesamt wurde das ganze Land in seiner Entwicklung erheblich zurückgeworfen.

Im Jahre 1526 kamen die böhmischen Länder unter die Herrschaft der Habsburger. Deren wichtiges Streben richtete sich auf die Rückkehr des gesamten Reiches zur katholischen Kirche. Die anhaltenden Spannungen zwischen katholischem Kaiser und protestantischen Untertanen mündeten schließlich in den Dreißigjährigen Krieg, dessen Anlass der Fenstersturz in Prag 1618 war. Die Schlacht am Weißen Berg 1620 und der Sieg der Habsburger über die böhmischen Protestanten und ihren König hatten weitreichende Folgen. Das Land wurde in der nachfolgenden Zeit rekatholisiert, die sich zu ihrem Glauben bekennenden Protestanten mussten das Land verlassen und fanden häufig in Sachsen Aufnahme. Die Restauration verdrängte auch die tschechische Sprache weitgehend aus dem öffentlichen Leben.

Das Nebenland Schlesien musste Österreich in den Schlesischen Kriegen an Preußen abtreten, allerdings blieb Österreichisch-Schlesien im Habsburgerreich und kam zum Königreich Böhmen hinzu. Bis 1806 gehörten Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und von 1815 bis 1866 zum Deutschen Bund. Zur ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 entsandten auch die Deutschen Böhmens und Mährens Vertreter, ebenso die Tschechen Mährens, nicht jedoch jene Böhmens. Mit der Niederlage Österreichs in der Schlacht bei Königgrätz 1866 trat Österreich aus dem Deutschen Bund aus. Einen wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung hatten neben den Deutschen allgemein insbesondere die Angehörigen der jüdischen Religion, die hauptsächlich Deutsche waren. Mit dem Erwachen nationaler Gedanken nach 1848 nahmen die Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen zu, in Prag entwickelten sich Parallelgesellschaften.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 zerfiel auch die österreichisch-ungarische Monarchie. Die bisher von der Macht ausgeschlossenen Tschechen forderten einen eigenen Staat, den sie am 28. Oktober 1918 auch ausriefen. Die Sudetendeutschen forderten mit Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker den Verbleib beim österreichischen Staat. Widerstand gegen die Besetzung der Gebiete durch tschechisches Militär erfolgte kaum, nur vereinzelt kam es zu blutigen Übergriffen und Kämpfen. Am 4. März 1919 demonstrierte fast die gesamte sudetendeutsche Bevölkerung für das Selbstbestimmungsrecht, verbunden mit einem eintägigen Generalstreik. Diese Kundgebungen wurden durch tschechisches Militär zerschlagen.

Die Sudetendeutschen, die in den Randgebieten des neuen Staates die Mehrheit der Bevölkerung stellten, wollten danach aus dem Staatsverband austreten und sich der Republik Österreich anschließen, was u.a. zu dem von Anfang an gespannten Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen innerhalb des neuen Staates führte. Im Vertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 19. September 1919, in dem die Alliierten die Nachkriegsordnung für das 1918 zerfallene Kaiserreich und Königreich Österreich-Ungarn festlegten, wurden die Grenzen der Tschechoslowakei von 1918 bestätigt und die Zugehörigkeit der Sudetendeutschen zu diesem Staat festgelegt. Im neuen Staat setzte sich die Bevölkerung aus 6,6 Millionen Tschechen, 3,2 Millionen Deutschen, 2 Millionen Slowaken, 700.000 Ungarn, 500.000 Ukrainern, 100.000 Polen und weiteren kleineren Minderheiten zusammen. Die Deutschen waren wie die anderen Minderheiten in der Folgezeit einem starken Assimiliierungsdruck und einer Beschneidung ihrer Rechte unterworfen. Die Entfremdung zwischen Deutschen und Tschechen, entstanden aus der Benachteiligung der Tschechen in der Vergangenheit, nahm nun durch die Diskriminierung der Deutschen erheblich zu. Deren Ablehnung des tschechoslowakischen Staates zeigte sich 1935 ganz deutlich im Sieg der Sudetendeutschen Partei unter Konrad Henlein (1898–1945), die eine Autonomie der Sudetendeutschen forderte und damit zwei Drittel aller Stimmen der deutschen Bevölkerung erhielt. Der deutsch-tschechische Gegensatz wurde durch Druck Deutschlands erheblich verstärkt, was nach einem Ultimatum Hitlers an die Westmächte zum völkerrechtlich ungültigen und ohne Beteiligung der tschechischen Regierung zustande gekommenen Münchner Abkommen vom 29. September 1938 führte, in dessen Folge die überwiegend von Deutschen besiedelten Randgebiete an das Deutsche Reich angegliedert und aus dem größeren Teil dieser Gebiete der „Reichsgau Sudetenland“ gebildet wurde. Die in diesem Gebiet angesiedelten Tschechen, insgesamt etwa 400.000 Personen, verließen z. T. ihre Wohnorte fluchtartig. Im März 1939 zwang die deutsche Regierung die Tschechoslowakei zum Abschluss eines Protektoratsvertrages, der die Zerschlagung der Tschechoslowakei, die Besetzung der Rest-Tschechei durch deutsche Truppen und die Bildung eines „Protektorates Böhmen und Mähren“ zur Folge hatte.

Die Slowakei bildete von 1939 bis 1945 einen eigenen Staat, während die Karpato-Ukraine von Ungarn besetzt worden war. Die tschechische Bevölkerung war in der Folgezeit der Willkür der deutschen Besatzer ausgesetzt, wobei es insbesondere nach dem Attentat auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich (1904–1942) am 27. Mai 1942 zu Übergriffen, willkürlichen Erschießungen, Auslöschung ganzer Dörfer usw. kam. Die Bevölkerung jüdischen Glaubens, meist Deutsche, wurde systematisch entrechtet, verfolgt, inhaftiert und getötet. Von den etwa 300.000 Juden (1921) starben etwa 80.000 während der deutschen Besatzung.

Die tschechische Exilregierung in London plante, dass die Wiedererrichtung ihres Staates mit der Vertreibung der deutschen und ungarischen Minderheit verbunden sein solle.
Nach dem 8. Mai 1945 ist die Tschechoslowakei, mit Ausnahme der Karpato-Ukraine, die zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik kam, in den Grenzen von 1919 wiederhergestellt worden. Unmittelbar nach dem 8. Mai begann die von Edvard Beneš schon im Exil in London geplante Vertreibung der Sudetendeutschen. Mehrere Dekrete, die allgemein unter dem Namen Beneš-Dekrete bekannt sind, enteigneten die Deutschen, erkannten ihnen die Staatsbürgerschaft ab, verpflichteten sie zu Arbeitsleistungen, regelten die mögliche Bestrafung durch Volksgerichte und legten ihre Ausweisung fest. Den Auftakt bildete der Prager Aufstand (5. bis 9. Mai 1945), der mit der massenweisen Misshandlung, Ermordung, Vertreibung und Einweisung der Deutschen in tschechische Konzentrationslager einherging. Bis zum Ende der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 waren schon etwa 750.000 Sudetendeutsche vertrieben, wobei es dabei mehrfach zu Exzessen (z. B. Brünner Todesmarsch) kam. In der Folgezeit, hauptsächlich im Jahr 1946, wurden die meisten Deutschen gemäß den Festlegungen des Potsdamer Abkommens aus ihrer Heimat vertrieben, ca. 1,5 Mio. nach Bayern, 400.000 nach Hessen, ca. 700.000 verteilt in die sowjetische Besatzungszone, 140.000 überwiegend in die Grenzgebiete Österreichs (1950). Etwa 250.000 konnten bzw. mussten in ihrer Heimat bleiben, weil sie als Fachkräfte für den tschechischen Staat unentbehrlich waren. Sie waren allerdings ebenso wie die Vertriebenen der Enteignung unterworfen und wurden mitunter innerhalb des Landes zwangsumgesiedelt, ca. 40.000 in die Sowjetunion verschleppt. In den nachfolgenden Jahrzehnten siedelte ein größerer Teil der Deutschen in die Bundesrepublik Deutschland aus. Bei der Volkszählung 1991 gaben nur noch etwa 50.000 Personen Deutsch als Muttersprache an.

Die Tschechoslowakei löste sich 1993 als eigenes Staatswesen auf. Aus ihr entstanden die Tschechische Republik und die Slowakische Republik. In der Folgezeit konnte sich die deutsche Minderheit organisieren und ihre Rechte vertreten.

Berlin, den 27. November 2022.
Andreas Rösler


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