Nathanael Katscher (1919 bis 1945)

Portrait Nathanael Katscher

Portrait Nathanael Katscher
Quelle: Dr. Zdeňka Kvasničková

 

Nathanael Katscher wurde am 10. Dezember 1890 als drittes Kind des Pfarrers Prokopius Katscher und seiner Ehefrau Anna in Groß Friedrichs-Tabor geboren. Nach dem Besuch der Dorfschule und dem Vorbereitungsunterricht durch den Vater besuchte er das Gymnasium zunächst in Kempen, später in Schrimm, wo er mit dem Abitur abschloss. 1904 starb sein Vater Prokopius, und die Familie zog nach Breslau. Im Frühjahr 1910 begann er in Breslau mit dem Jurastudium, wechselte die Fakultät und studierte Theologie. Gleichzeitig befanden sich auch seine Brüder in der Ausbildung. Zur finanziellen Unterstützung ihrer Mutter und um sein Studium zu finanzieren, war er mehrmals als Hauslehrer auf verschiedenen Stellen tätig.

1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Zusammen mit seinem Bruder Timotheus meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Sein Bruder fiel 1916 als Infanterist in der Schlacht an der Somme in Frankreich. Nathanael diente als Feldartillerist in Frankreich und Russland.

1917 legte er das erste Examen ab. Nach dem Kriege 1918 kam er in das Predigerseminar nach Naumburg am Queis. Weil ein Teil des Landkreises Groß Wartenberg Polnisch werden sollte, kam er zurück nach Tabor, um mit seiner Familie deshalb wieder nach Breslau zu ziehen. Da der Pfarrverwalter von Tabor, Pfarrer Bessert aus Bralin, auch nach Deutschland wollte, suchte man einen Nachfolger für seine Gemeinden. Das Konsistorium in Breslau berief Nathanael Katscher zum vorzeitigen Examen und setzte ihn am 1. September 1919 als Pfarrverweser in Groß Friedrichs-Tabor ein. Neben der Verwaltung der Gemeinde in Bralin gehörten noch folgende Dörfer zur Parochie Groß Friedrichs-Tabor: Klein Friedrichs-Tabor, Tschermin, Zelinka und Veronickenpol mit den Ortsteilen Utrata, Neutky und Cihelna.

In Groß Friedrichs-Tabor wurde meistens Tschechisch, gelegentlich Deutsch; in Bralin Deutsch und Polnisch gepredigt. Bei den Beerdigungen wurden die Ansprachen in tschechischer Sprache, die Trauungen dagegen in deutscher Sprache gehalten. Da die Organisten zugleich deutsche Lehrer waren, verließen sie das Land, bevor es am 20. Januar 1920 polnisch wurde. Danach war Nathanael Katscher Pfarrer und Organist in den Gemeinden. In dieser Zeit gründete er einen Posaunen- und einen Kirchen-Chor.

Bis dahin führte seine Mutter Anna den Haushalt. Am 21. Oktober 1929 heiratete er Gertrud Helme Jaschik (geb.1905 in Berlin) in Zerniki. Sie hatten fünf Kinder.

 
  Familie Katscher im Jahre 1929  
 
 

Familie Katscher im Jahre 1929
Quelle: Edita Štĕříková, aaO, Seite 47

Alle Personen von rechts nach links:
Erste Reihe sitzend: Anna, Ehefrau von Josef Vrana – Klara, Witwe des Pfarrers Prokopius Katscher – Ehefrau von Erwin Katscher;
Zweite Reihe: Nathanael Katscher mit Ehefrau Gertrud, Stiefbruder Josef Vrana, Bruder Erwin Katscher mit Gertrud („Trudi‟) – Tochter von Wilhelm Katscher (ältester Bruder von Nathanael Katscher)

 
  Groß Friedrichs-Tabor – Jugendchor und Kapelle,<br>zum 50. Jahrestag der Kirchweihe, 1935″  width=“400px“ height=“287px“ /></a></td>
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Groß Friedrichs-Tabor – Jugendchor und Kapelle,
zum 50. Jahrestag der Kirchweihe, 1935
vorn, Mitte: Nathanael Katscher;
rechts daneben Lehrer Newetschersal.
Quelle: Dr. Zdeňka Kvasničková

 
 

Seine Mutter Anna starb am 1. März 1933 in Groß Friedrichs-Tabor.

1941 wurde er zum Superintendenten der reformierten Gemeinden der früheren Provinz Posen und als Pfarrer der Petrikirche in Posen eingesetzt. Die Gemeinden Groß Friedrichs-Tabor und Bralin wurden weiter von Nathanael Katscher versorgt.

  Hochzeitsfoto Marie Schebesta und Albert Moses  
 
Hochzeitsfoto Marie Schebesta und Albert Moses

Alle Personen von links nach rechts:
Kinder vorne sitzend: NN; Dora Katscher (5) *1934; Erika Katscher (6) *1930.
Erste Reihe sitzend: Gerhard Katscher (3) *1930; Gertrud Katscher (4) *15.04.1905; Josef Moses (9) *25.04.1856 Groß Friedrichs Tabor, † 03.1946 Lestkov / Tschechien; Marie Newetscheral (10) *16.10.1869 Groß Friedrichs Tabor, † 01.12.1957 Lestkov; Marie Schebesta (1) *03.05.1911 Groß Friedrichs Tabor, † 23.08.1995 Lestkov; Albert Moses (2) *23.04.1909 Groß Friedrichs Tabor, † 25.06.1992 Lestkov; Friedrich Schebesta (11) *16.09.1876 Groß Friedrichs Tabor, † 06.05.1966 Lestkov; NN; Nathanael Katscher (7) *10.12.1890 Groß Friedrichs Tabor; Hans Newetscheral (8)
Zweite Reihe von vorne, stehend: NN, NN, NN, Luise Moses (12); Emilie Moses (13); Karl Blasius (16) *09.12.1884 Groß Friedrichs Tabor, † 1945 ; NN; NN; NN.
Letzte Reihe: alle Personen unbekannt bis auf das zweite junge Paar von rechts Anna Schebesta (14) *17.10.1904 Groß Friedrichs Tabor, † 26.09.1993 Lestkov; Richard Franke (15)

 

Im Januar 1945 setzte die Evakuierung von Posen ein. Familie Katscher verließ die Stadt und floh über Görlitz nach Gräfenthal im Thüringer Wald. Dort übernahm Katscher die Pfarrstelle der lutherischen Gemeinde von 1945 bis zum Herbst 1947. Hier starb seine Frau Gertrud am 23. August 1947 kurz vor dem Umzug nach Berlin.

Die alte Gemeinde Groß Friedrichs-Tabor löste sich auf. Ende 1945 fanden die ehemaligen böhmischen Emigranten eine neue Heimat in der Tschechoslowakei. In der Gegend von Marienbad (tschechisch: Mariánské Lázně), in den Orten Lestkov, Zhorec und Nejdek, wurden sie angesiedelt. Mit seiner zweiten Ehefrau besuchte Katscher sie dort erstmalig 1965.
Ab 1. November 1947 bis zu seiner Emeritierung im Herbst 1967 war er Pfarrer der reformierten Schlosskirche in Berlin-Köpenick. Am 28. Mai 1953 heiratete er Gerda Copek in Berlin-Köpenick. Kurz nach seiner Silberhochzeit starb Nathanael Katscher am 29. Juli 1978 in Berlin-Hermsdorf.

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Episoden aus dem Leben Nathanael Katschers

Nach dem Krieg, im Jahre 1919 übernahm der Enkel von Joseph Kačer, Nathanael Katscher, das Pfarramt. Zwei Söhne des Prokop Kačer, Nathanael und Timotheus studierten Theologie. Durch den Ausbruch des Weltkrieges wurde ihr Studium unterbrochen. Nathanael schrieb in seinem Lebenslauf:

1914 brach der Krieg aus. Mein Bruder Timotheus und ich meldeten uns freiwillig. Timotheus fiel im Jahre 1916 in Frankreich in der Schlacht an der Somme als Infanterist. Ich kämpfte in Frankreich u. Russland als Artillerist. Im Jahre 1917 bekam ich Urlaub und legte meine erste theologische Prüfung ab. Nach dem Krieg war ich in Naumburg (am Queiss) im theologischen Seminar. Meine Mutter rief mich nach Tabor zurück. Dieses Gebiet sollte an Polen fallen, und unsere Familie wollte deshalb nach Breslau zurückkehren. Pfarrer Bessert in Bralin, welcher auch die Taborer Gemeinde betreute, wollte gleichfalls nach Deutschland ziehen und suchte Verwalter für seine Gemeinden. Die Breslauer Konsistorien luden mich zur vorzeitigen Prüfung, und zum 1. September 1919 benannten sie mich zum Verwalter der Taborer Gemeinde. Außerdem sollte ich auch die Braliner Gemeinde verwalten. In Tabor predigte ich überwiegend Böhmisch, in Bralin Deutsch und Polnisch. Auf Begräbnissen predigte ich Tschechisch; Hochzeiten dagegen wurden in deutscher Sprache gehalten. Die Orgelspieler, gleichzeitig deutsche Lehrer, verließen das Land vor dem 20. Januar 1920 ehe es an Polen fiel. Ich war dann Pfarrer und Kantor. In dieser Zeit gründete ich den Gesang- und Posaunenchor.

Im Januar 1920 wurden die Orte der Taborer Gemeinde durch polnisches Militär besetzt. Der Anschluss an die neue polnische Republik löste unter den Taborern eine Welle des Unwillens und Erschreckens aus. Ihr evangelisches, tschechisches Gewissen, und vor allen Dingen die deutsche Erziehung in den Schulen und die fast 200jährige deutsche Staatszugehörigkeit waren die Ursachen für das grundsätzliche Misstrauen gegen ein mögliches Zusammenleben mit den katholischen Polen. In den ersten Wochen der polnischen Regierung wurden ihre Befürchtungen durch die polnischen Verwaltungsanordnungen bestätigt. Etliche Familien sind von Tabor nach Deutschland gezogen. Auf ihre Grundstücke kamen Polen nach Tabor. Als weitere Möglichkeit eines Ausweges aus dieser unangenehmen Situation sahen die Taborer eine Rückkehr in das Land ihrer Vorfahren. Sein Bruder Wilhelm Katscher, Ingenieur der sächsisch-tschechischen Zementfabrik in Cizkovice, richtete am 1. Oktober 1920 an den Präsidenten der Tschechoslowakei einen Brief, welcher folgende dringende Bitte der Taborer enthielt:

… Die Gemeinden, um welche es sich handelt, sind Groß-Friedrichs Tabor, Klein-Friedrichs Tabor und Tschermin. In diesen Gemeinden wirkte schon mein Großvater, Vater und wirkt gegenwärtig mein Bruder Nathanael Katscher als Pfarrer. Nun sind diese Orte ohne jegliche Abstimmung in die polnische Republik einverleibt worden. Allerdings wurde damit die Bevölkerung allen möglichen Gewalttaten und Ungerechtigkeiten der polnischen Unterdrücker auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Mich erreichte ein Brief, in dem mir über folgenden Beschwerden berichtet wurde:

  • Bürgermeister des Ortes darf nur ein Pole werden, obwohl der Anteil der polnischen Bewohner nur etwa 3 % beträgt.
  • Die Schulen haben keine Lehrer.

Über diese Zustände ist die Bevölkerung sehr verbittert. Ich wurde gefragt, ob es möglich wäre, dass sie nach Böhmen zurückkehren könnten. Für alle näheren, notwendigen Angaben stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich erlaube mir, die Hoffnung auszusprechen, dass Sie Herr Präsident dem Schicksal dieser Landsleute die entsprechende Aufmerksamkeit widmen können um ihnen die gewünschte Hilfe zu gewähren. Um diese bittet flehend hochachtungsvoll Wilhelm Katscher.

In die Tschechoslowakei kamen in den 1920er Jahren nur Einzelne. Nach Deutschland war das Umsiedeln einfacher. Die Zahl der reformierten Taborer Gemeinde sank jäh. 1913 hatte sie 1500 Mitglieder, im Jahre 1939 waren es nur noch 700. Neben der Auswanderung trug auch die Zunahme des Konvertitentums dazu bei. Vor allen Dingen in Tschermin, wo schon vor dem 1. Weltkrieg eine neue Kirche geplant war, verstärkte sich der Zulauf zur Baptisten-Gemeinde. Die reformierten Evangelischen fühlten das als einen schmerzhaften Einschnitt in ihr bisheriges Gemeindeleben. Pfarrer Nathanael Katscher hat seine Gemeinde indes nicht verlassen. Er unterbrach die Verbindung mit der deutschen Kirche nicht, knüpfte aber auch zu anderen tschechischen Gemeinden in Polen Verbindung an. Im Jahre 1924 besuchte er in Begleitung des Kurators der Lodzer reformierten Gemeinde, Josef Hajek, die böhmischen Gemeinden in Zelov, Kutschov, Boratin und Michailow. Die Taborer Gemeinde gehörte weiterhin unter die Verwaltung der Posener reformierten Konsistoren.

Nathanael Katschers Mutter Anna starb am 1. März 1933 in Groß Friedrichstabor.

Am 1. September 1939 erlebte Groß Friedrichstabor den ersten Tag des 2. Weltkriegs mit dem Überfall Deutschlands auf Polen. 1941 wurde Nathanael Katscher Superintendent der evangelisch reformierten Gemeinde der Provinz Posen und als Pfarrer der Petri-Kirche in Posen eingesetzt. Gleichzeitig versorgte er die Gemeinden Groß Friedrichstabor und Bralin.

Im Januar 1945 begann die Evakuierung von Posen und die Familie Katscher musste aus der Stadt fliehen. Weitere Stationen ihrer Flucht waren Görlitz und Gräfenthal in Thüringen. Dort war er als kommissarischer Verwalter und Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde von 1945 bis 1947 tätig. 1947 starb Katschers Frau Gertrud; kurz vor dem Umzug seiner Familie nach Berlin.

In Groß Friedrichs-Tabor vollzieht sich zu Weihnachten 1945 die Umsiedlung von 109 Familien in die Tschechoslowakei, in mehrere Orte im Umkreis von Bezdruzice (dt. Weseritz). Nathanael Katscher wollte zusammen mit seiner böhmischen Gemeinde in diese neue Heimat im „Land der ‟ umsiedeln. Von den tschechischen Behörden wurde das abgelehnt, weil seine Frau und Kinder nicht Tschechisch sprachen.

Nathanael Katscher wirkte von 1947 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1967 als Pfarrer der reformierten Schlosskirche in Berlin – Köpenick. Er starb am 29.Juli 1978 in Berlin.

Text: Wolf-Rainer Krüger, Meißen, im April 2018

 

Quellen:
Kiec, Olgierd: Die evangelischen Kirchen in der Wojewodschaft Posen (Pozńan) 1918 – 1939, Harrassowitz Wiesbaden 1998;
Kvasničková, Zdeňka: Repatriace českých pobělohorských exulantů z Polska na Bezdručicko po druhé světové válce (Repatriierung der böhmischen Weißer-Berg-Exulanten aus Polen in die Region Bezdružice nach dem 2. WK), Dissertation Karlsuniversität PraG 2015;
Štĕříková, Edita: Země otců (Land der Väter), 2. Aufl., Kalich Prag 2005;
Meinhof, F.: Thüringer Pfarrerbuch;
Aufzeichnungen von Adolf Schiller (im Besitz der Familie Katscher);
Aufzeichnungen der Familie Katscher;
Persönliche Gespräche mit Familienmitgliedern Katscher und Freunden.

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Die Parochie Groß Friedrichs-Tabor
Personen der Brüdergemeinde Groß Friedrichs-Tabor

 
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